Der Schwimmreifen

 
 
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Es war noch früh am Morgen und ich befand mich auf dem Weg zum Strand, als ein Mann mit seiner Familie mir entgegenkam, die allerlei Utensilien für den Strandtag im Gepäck hatten. Die Kinder strahlten eine gewisse Vorfreude und Erwartung aus. Die wenigen Menschen und das frühe Morgenlicht am Strand schafften eine beruhigende Atmosphäre und täuschten darüber hinweg, dass dieser Ort in wenigen Stunden heiss, laut und mit Menschen überlaufen sein würde. 


Ich hatte kurz nach meiner Ankunft am Strand bemerkt, dass ich meine Sonnencreme im Hotelzimmer vergessen hatte, und machte mich daher wieder auf den Weg zum Hotel. Als ich den Strand an diesem Morgen das zweite Mal erreichte, sah ich denselben Mann, den ich schon früh mit seiner Familie getroffen hatte, mit gesenktem Kopf und schnellen Schrittes auch das zweite Mal Richtung Strand gehen. Er war scheinbar ebenfalls zum Hotel zurückgekehrt und hatte geholt, was er vergessen hatte: einen großen bunten Schwimmreifen.

 
Urlaubstage sind auf ihre Weise besondere Tage. Wir legen einen längeren Weg zurück, um an einen Ort zu kommen, der mit seinen äußeren Bedingungen unseren Wünschen entspricht und den Rahmen für eine angenehme Zeit und schöne Erlebnisse schafft. An solche Reisen können wir uns später erinnern: Wir machen Fotos, lernen Menschen kennen, bringen Andenken mit. Aber welche Momente und Bilder behalten wir im Gedächtnis? Würde ich mich an diesen Moment und das zufällige Zusammentreffen zwischen dem Mann und mir erinnern? Uns war dasselbe Missgeschick widerfahren. Wir hatten einen Gegenstand vergessen, den wir in unserer alltäglichen Umgebung nicht brauchten, den wir aber für unsere Reise mitgenommen hatten in der Voraussicht, wir würden ihn nicht nur benötigen, sondern er gäbe uns auch einen gewissen Schutz und Sicherheit: vor der heißen erbarmungslosen Sonne im Sommer und vor den Strömungen, Wellen und Tiefen des Meeres. 


Nachdem ich mich eingecremt hatte, beobachtete ich die Menschen und das Treiben am Strand. Den Mann, seine Familie und den Schwimmreifen konnte ich nicht mehr entdecken. Nach einer Weile schloss ich die Augen und versank in einen tiefen Schlaf.  Ich sah den Mann auf seinem Schwimmreifen aufs Meer hinaustreiben. Die warme Sonne, das erfrischende Wasser und die fernen Strandgeräusche umgaben ihn wie einen Schleier, bis auch er langsam einschlief. Mit jedem Wellenschlag entfernte er sich weiter von der Küste. Er hatte keinen Sonnenschutz und das Salzwasser, das auf seinen Körper spritzte, trocknete unter den heißen Sonnenstrahlen auf seiner roten Haut. Weit entfernt vom Trubel am jetzt überfüllten Strand, von seiner wartenden Familie und weit entfernt von Schutz und Sicherheit. Als ich später aufwachte, ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, war mir klar,  dass ich den Mann und seinen Schwimmreifen nicht vergessen würde.