Liefern

 
 
 
L1010180-125-proc-Bearbeitet.jpg
 
 
 

Mein linker Arm hing lässig aus dem Fenster, ich hatte meine spiegelnde Sonnenbrille auf und aus den Lautsprechern erklang eines meiner Lieblingslieder von den Red Hot Chili Pepper, kurzum, ich war bei der Arbeit. Ich liefert für eine Pizzeria das Essen aus und suchte schon seit einer Viertelstunde ein Eckhaus in einem Neubaugebiet, das bisher in keiner Karte verzeichnet war. Am Ende der Straße kam ich schließlich zu einem Gebäude, das so gar nicht hierher passte: Es war ein altes, heruntergekommenes zweigeschossiges Haus mit einer Holzverkleidung, das zur Straße eine Veranda hatte und auf dessen Einfahrt ein angerosteter Lieferwagen stand. Vor dem Eingang saß ein Rottweiler, der mich schon bevor ich das Auto zum Stehen gebracht hatte, aufmerksam beäugte und sich jetzt knurrend erhob. 

Ich drückte kurz auf die Hupe, in der Hoffnung, der Bewohner war der Besteller der beiden Pizzen und würde so auf mich aufmerksam werden. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich die Verandatür und vor mir stand der wohl stolze Eigentümer dieses Anwesens: ein muskulöser, kahlrasierter Mann mittleren Alters mit beeindruckenden Tätowierungen an jeder nur erdenklichen Körperstelle. Er hatte einen kurze Hose und ein weißes, schmutziges Unterhemd an und begrüßte mich in dem er sein Kinn zu einer Frage anhob.

- „Was ist?“ brüllte er über den Vorgarten in meine Richtung. 

- „Haben Sie zwei Pizzen bestellt? Ich war noch nie in diesem Teil der Stadt und konnte die richtige Adresse nicht finden...“, versuchte ich die verspätete Lieferung zu erklären, aber er hatte sich schon zu seinem Hund gedreht und blaffte ihn an, er solle sich hinsetzen.

„Du bist am Ziel“, entgegnete er lakonisch. „Aber wieso zwei? Siehst du hier noch jemanden oder sehe ich so verfressen aus?“

Ich dachte, der Kunde hat immer Recht und zog den Bon aus der Klemme am Armaturenbrett. Auf dem Weg zur Veranda fühlte ich eine gewisse Anspannung, obwohl der Hund jetzt brav neben seinem Herrchen saß und dieser in seinem Portemonnaie das Geld suchte.

„Tut mir leid, dann hat mein Chef es wohl falsch verstanden. Es ist eine Pizza Hawaii und eine Vierjahreszeiten, welche wollen Sie denn haben?“

Er hob jetzt langsam seinen Kopf und blickte mich ungläubig und feindselig an.

„Sag mal, ist das dein Ernst? Du gurkst hier Ewigkeiten in der Gegend rum, um mir dann zwei kalte nicht bestellte Pizzen zu bringen und willst dafür auch noch Kohle haben?“

„Ich entschuldige mich nochmal, wenn bei der Bestellung etwas schief gelaufen ist“, presste ich heraus. „Aber sehen Sie es mal positiv, ich habe Ihnen zwei unterschiedliche Pizzen mitgebracht, obwohl Sie nur eine wollten. Sie können sich also jetzt sozusagen neu entscheiden, eine unbefangene Auswahl treffen, sich die Pizza nehmen, auf die Sie jetzt in diesem Moment Appetit haben. Bei welchem Lieferdienst kann man seine Meinung so kurzfristig noch ändern? Was meinen Sie, klingt das nicht schon viel besser?“ 

„Pass auf, Bursche!“ Er schnaubte, ging auf mich zu und nahm mir die Pizzakartons mit einem Ruck aus der Hand. 

„Ich nehme beide verdammten Pizzen und werde Dir keine bezahlen. Wenn Du bei drei nicht weg bist, hetzte ich den Hund auf Dich. Hau einfach ab.“

Ich schaute für einen Moment seitlich über die Veranda vorbei in den Garten, der von hohen Bäumen umgrenzt war, in der Ferne konnte ich durch die Äste die untergehende Sonne erahnen, die den Himmel in warme Farbtöne tauchte. Nichts lag mir ferner, als in diesem Moment mit dem Mann zu streiten, aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Unser Gespräch fand auf unterschiedlichen Ebenen statt. Ich wollte für beide eine Lösung, er wollte die Konfrontation. Aber, und das überraschte mich nicht, aus irgendeinem Grund wollte ich nicht klein beigeben.

Ich streckte meinen Körper langsam in die Länge, kniff meine Augen zusammen und starrte ihn an. 

„Soll ich jetzt Angst haben?“

Er musterte mich. Im Hintergrund hörte ich etwas im Haus poltern. Er hatte es auch bemerkt und drehte den Kopf mürrisch Richtung Veranda. Er war nicht alleine und schien irritiert, dass ich jetzt über die Anwesenheit einer weiteren Person im Bilde war. Und mir wurde nun klar, dass seine Vorstellung ein großes Theater war, dass meine Verspätung und die angeblich nicht bestellten Pizzen ihm als Vorwand dienten, die Zeche zu prellen. Was für eine schamloser Betrüger. 

Ich bewegte mich langsam auf ihn zu und schaute ihm direkt in die Augen. Er hatte Mühe meinem Blick standzuhalten und blinzelte mehrmals, als ob ihn irgendetwas blenden würde. 

„Was ist?“, blaffte er noch einmal.

„Frag nicht so dämlich, du weißt genau was ist“ entgegnete ich und äffte seine Sprache nach. Dann streckte ich meine rechte Hand vor ihm aus, mit der Handfläche nach oben.