Shibuya's Kreuzung

 
 
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Der Tag ist unerträglich hell und heiß. Tausende Kilometer von zuhause entfernt, laufe ich durch eine überfüllte, anonyme Stadt. Ich habe meinen Weg längst verloren und stehe statisch inmitten einer Menschenmasse, die in stetiger Bewegung um mich strömt. Es ist fast so, als stünde ich in einem Fluss und das Wasser fließt um mich herum. Aber es ist kein angenehmer Moment: Es ist nicht erfrischend, nicht beruhigend, ist sehe kein Ufer.

Ich weiß nicht warum, aber plötzlich erhebe ich meinen Blick und schaue nach oben, als suche ich einen Ausweg aus dieser Situation. Da sehe ich einen älteren Mann am Fenster eines Hochhauses stehen. Die große gläserne Fassade hat nur wenige transparente Fenster. Es scheint als schaue er auf mich herunter.

Von oben hat er einen guten Überblick und gleichzeitig ist er auf Distanz. Er wirkt irgendwie versonnen, alleine und verlassen, fast wie ein Spiegelbild meiner eigenen Situation und Gemütslage. Und doch sehe ich in ihm noch etwas anderes, etwas Melancholisches oder Niedergeschlagenes, etwas, das ich nicht empfinde und das möglicherweise mit dem zusammenhängt, was er beobachtet oder anschaut. Eine Erkenntnis, die sich ihm erschlossen hat und die für mich unsichtbar ist. Eine Erinnerung, die ich nicht habe.

Und wie er so dasteht am Fenster und schaut, stelle ich mir vor, dass die Distanz zwischen ihm und mir, was er beobachtet und ich sehe, was er weiß und ich vermute, größer ist, als es für den Betrachter dieses Bildes im ersten Moment erscheint: Der einsame Mann am Fenster mit dem Blick auf die lebhafteste Kreuzung der Welt.